Schwören gilt nicht. Wenn sich geballter Wortwitz einmal quer durch die Weltgeschichte der Lüge liest, sollte man sich das nicht entgehen lassen. Im Rosenheimer Ballhaus trafen Dieter Hildebrandt und Roger Willemsen im September 2007 auf ein restlos begeistertes Publikum. Vorab durfte ich backstage die beiden Gentlemen alter Schule treffen. Ein wirklich amüsantes Interview zum Herbstauftakt.
RN: Ihr erstes gemeinsames Bühnenprogramm deckt jede Menge Lügengeschichten auf. Verlässt Ihr Publikum nachher den Saal völlig desillusioniert und am Rande der Paranoia?
Willemsen: Ja. Das ist beabsichtigt! (lacht) Es sind Leute aus dem ersten Abend gekommen mit den Worten „Erst jetzt wissen wir, wie schlecht die Welt ist.“ Aber sie hätten sich auch sehr amüsiert. Dadurch sei ihnen eine bittere Pille versüßt angeboten worden.
Hildebrandt: Sagen wir mal so: Man hat mir vorher gesagt, das würde wahnsinnig anstrengend, man würde kaum was verstehen. Es wäre überhaupt ein Blödsinn, dass man so was macht. Dann habe ich mitgespielt und festgestellt: Das ist schon mal die erste Lüge gewesen!
RN: Wie ist dieser sehr unterhaltsamen Disput zwischen Ihnen überhaupt zustande gekommen?
Hildebrandt: Willemsen hat die Idee gehabt und hat mich praktisch ausgesucht. Ich fiel ihm ein. Er hat mich angerufen und ich habe gleich ja gesagt, weil ich diesen Nebenzweig des Kabaretts eigentlich ganz interessant finde. Vor allen Dingen, es unterbricht meine Tätigkeit auf angenehme Weise. (lacht)
Willemsen: Von meiner Seite aus kann ich sagen – und das ist ungeschmeichelt – es gab als das Programm entstand, nur eine Person, von der ich mir vorstellen konnte, dass sie diesem Programm Bonität geben würde.
Hildebrandt: Daran sehen Sie schon: Es ist eine Lüge! (lacht) Aber ich bin einfach ein Liebhaber von abseitigem Humor.
RN: Und welche Lügen-Anekdote hat Sie bei Ihrer Zeitreise richtig zum Lachen gebracht?
Willemsen: Oh, mein Herz schlägt mit den exzentrischen Geographen, die ganze Kontinente erfinden und sich selber fantastische Lebensläufe geben. Das finde ich gut. Was ich weniger gut finde, sind die Lügen der Medizin, der Politik und so fort. Da gibt es einen Komplex, da können wir nicht mehr sehr komisch sein, weil es uns ernst ist.
Hildebrandt: Berufslügner sind halt lästig, wenn sie mit dem eignen Wohlbefinden in Zusammenhang stehen.
RN: Welche Berufsgruppe lügt am professionellsten?
Hildebrandt: Wahrscheinlich Menschen, die für das öffentliche Wohl sorgen sollen und gewählt werden müssen. Wer gewählt werden muss, hat schon mal einen unglaublichen Nachteil: Er muss die Leute anschleimen. Sie wählen ihn sonst nicht. Er hat also schon mal eine Berufslüge, die fast notgedrungen ist. Ein Wahlkampf ohne eine Lüge macht mir auch als Zuschauer überhaupt keinen Spaß. (lacht) Es wäre völlig langweilig. Ich möchte richtig angelogen werden – aber so, dass ich es merke.
Willemsen: Ja, aber es soll mir trotzdem das Gefühl geben, meine Aufklärungsleistung sei noch erheblich.
Hildebrandt: Die schönsten Wahlplakate sind die, worüber ich spontan lachen kann. Wo die Lüge etwas dahinter liegt, nämlich im Kommen und im Gehen. Also wenn ein Plakat ankündigt „Westerwelle kommt!“ – dann lache ich von Herzen. Das ist wunderbar.
RN: Bei dem Programmtitel „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!“ dachte ich sofort an die Barschel-Affaire von 1987. Ist das jetzt nach 20 Jahren so gewollt?
Willemsen: Das ist so gewollt und Barschel kam auch ursprünglich bei der lit.COLOGNE-Premiere als Stimme aus dem Hintergrund vor. Es gibt ein paar klassische Lügen, die braucht man nur noch anzutippen. So auch Clintons „I did not have sexual relations with that woman…“ oder dass niemand die Absicht hatte, in Berlin eine Mauer zu bauen.
Hildebrandt: Ich habe Barschels Satz noch im Ohr „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!“ und neben ihm stand Stoltenberg und in dessen Gesicht lag für mich einwandfrei das Wissen um das Falsche an diesem Ehrenwort. Stoltenberg hätte seins auch geben können, aber er hat es nicht gegeben.
RN: Zum Abschluss noch was Aufmunterndes: Die aufrichtigste Persönlichkeit unserer Zeit, die Sie bisher kennen lernen durften?
Willemsen: Der Dalai Lama. Das ist die erste Person, die mir einfällt, weil der er in einer Weise direkt und unmittelbar ist. Er untersucht auf der Bühne seine Füße und weiß, dass das in 4×4 großen Leinwänden in den Saal übertragen wird. Er ist aber gerade bei seinen Füßen mit der selben Intensität, mit der er eben noch bei der Tibetischen Politik war. Jemand, der diese Form von Unschuld hat, ist zum Lügen in dem Sinne nicht in der Lage. Ich hatte bei ihm nie auch nur den Schatten eines Zweifels – faszinierend.
Hildebrandt: Ich bin etwas skeptisch, nicht was den Dalai Lama angeht. Mir fällt auf Anhieb keiner ein. Ich dachte immer an die Frau, die die Lottozahlen verkündet. Aber genau weiß ich es auch nicht. Weil, ich hab das dumme Gefühl, dass sie mit diesen Lottozahlen immer an meinen vorbei will und sie schafft das auch. Im übrigen glaube ich an mich.
Willemsen: Andererseits wäre es natürlich für diese Geschichte hier eine tolle Überschrift, wenn wir sagen würden: Die letzten nicht lügenden Menschen sind Karin Tietze-Ludwig und der Dalai Lama.
Hildebrandt: Stimmt. Und natürlich, wie ich bereits andeutete, wir beide! (lacht)
RN: Meine Herren, herzlichen Dank für das Gespräch.
ZUR SACHE
Dieter Hildebrandt und Roger Willemsen hatten sich für ihr erstes gemeinsames Bühnenprogramm die Geschichte der Menschheit vorgenommen und dabei nichts als Lügen gefunden. Ein hörenswerter Live-Mitschnitt des Programms „Ich geben Ihnen mein Ehrenwort! Die Weltgeschichte der Lüge“ ist bei Random House Audio erschienen. Die beiden Protagonisten starteten ihre Deutschlandtournee im März 2007 auf dem internationalen Literaturfest lit.COLOGNE in Köln, Ende August erschien das gleichnamige Buch von Traudl Bünger und Roger Willemsen bei S. Fischer. Die Begegnung mit diesen inzwischen leider verstorbenen „Köpfen der Nation“ zählt sicher zu den interessantesten Momenten meines Berufslebens.